Lyrik ist wieder da. Nicht gewaltig, nicht übererfolgreich, aber immer deutlicher in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Lyrik hat sich gewandelt. Ist vielseitiger geworden. Und auch verständlicher? Ich glaube schon. Sonst hätte sie kaum eine Chance, mehr als eine kleine Schar Intellektueller zu erreichen.
Mit „verständlich“ meine ich nicht, dass jedes Wort am richtigen Platz und semantisch korrekt sein muss – das wäre keine Lyrik. Aber immerhin so, dass der Leser oder die Leserin weiß, worum es geht und die Möglichkeit hat, nachzuspüren, was die Worte bei ihm bewirken, was sie in ihm anregen oder auslösen.
Die Poetry-Slam Bewegung ist schon einige gute Jahre alt. Damit hat es angefangen, dass Gedichte wieder Spaß machten und ein breites Publikum erreichten. Auf Wikipedia heißt es: „Die deutschsprachige Poetry-Slam-Szene gilt als eine der größten der Welt. 2016 wurden die deutschsprachigen Poetry-Slams in das Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.“ Eine erfolgreiche „Poetry-Slammerin“ ist Julia Engelmann. Ihr Buch mit den gesammelten Gedichten ist nun auf der Spiegelbestsellerliste gleich vom Start an auf Platz 11 gelandet.
Ebenso erfolgreich ist das Langgedicht von Amanda Gorman, der jungen afroamerikanischen Poetin, die mit „The Hill We Climb – Den Hügel hinauf« die Herzen der Menschen berührte. Sie war die sechste und jüngste Dichterin, die bei einer Vereidigung eines US-Präsidenten ein Gedicht vortrug – am 20. Januar 2021 bei der Amtseinführung von Joe Biden. Jedes Wort war verständlich und emotional. Und es wurde viel über die politisch korrekte Übersetzung diskutiert. Das im April 2021 erschienene Buch als zweisprachige kommentierte Sonderausgabe landete auf Anhieb sogar auf Platz 2 der Spiegel-Bestsellerliste.
Und wenn ich heute eine Zeitschrift mit Buchbesprechungen durchblättere, sind immer öfter mal auch zwei oder drei Lyrikbände mit dabei. Das ist ein gutes Zeichen.